“Ist Olivia Rodrigo ein Rockstar?” – eine Frage, die das Internet spaltet und meine Radiokollegen in Rage bringt. Doch wer ihre Energie, Attitüde und Gitarren hört, merkt schnell: Auch die neue Generation kann rocken.
Letztens habe in meinem Instagram Feed ein Video angezeigt bekommen, in dem eine junge Frau direkt am Anfang eine Frage in die Kamera stellte: “Ist Olivia Rodrigo ein Rockstar?” Als jemand der auch schon weinend zu ihrem Song “Drivers licence” auf dem Badezimmer-Boden lag musste ich mir die Frage nochmal genauer stellen. Zunächst hielt ich das wenige, was ich von ihr kenne für Pop-Musik. Vor allem das erste Album “Sour” fällt durch Merkmale wie eingängige Melodien, große Popularität und ruhige, moderne Beats in das Pop-Genre. Als ich die Frage dann meinen Kollegen bei einem Radio-Rocksender stellte, wurde ich aber schneller für verrückt erklärt, als ich Instagram wieder schließen konnte. Das war der Anlass dann doch nochmal tiefer in meine Recherche zu gehen. Für einen meiner Kollegen ist es aber auch schon eine Schande, für alles, was gefühlt nach Kurt Kobain kam, überhaupt das Wort Rock in den Mund zu nehmen. Vor allem, auch wenn er das nicht zugeben würde, die Musik von Frauen geschrieben wurde.
Zugegeben, sie ist, was man generell einen Popstar nennen würde. Ihre Musik bewegt sich eindeutig im Pop-Bereich, und die Songs, die sie berühmt machten, klingen eher nach Pop als nach Rock, so wie eben das erste Album “Sour”. Doch es wäre unfair, sie darauf zu reduzieren. Denn betrachtet man die heutigen Superstars, gibt es kaum jemanden, der das Wesen eines Rockstars so sehr verkörpert wie Olivia Rodrigo.
Jetzt kann ich schon einige meiner Kollegen beim Radio wütend widersprechen hören aber: Olivia Rodrigo spielt Rockmusik. Die Energie, mit der sie singt, die verzerrten Gitarren, die rebellische „Fuck you“-Attitüde – all das schreit nach Rock’n’Roll. Nur weil hier eine junge Frau Anfang 20 über ihren Ex-Freund singt und kein Mann Mitte 20 über Krieg, Depression und Drogen wird es dadurch nicht weniger Rock.
Ein Beweis dafür ist ihr Auftritt beim Glastonbury-Festival in diesem Jahr. Die Kommentare unter diesem Video sind ziemlich gespalten. Schon in den letzten Jahren hat das Line-up für Diskussionen gesorgt. Die einen sind für den modernen Twist, laut den anderen geht der Rock-Faktor des Festivals in seiner Ursprungsform verloren. Modernitäts-Debatte hin oder her: Ihre Glastonbury-Performance war energiegeladen, selbstbewusst und musikalisch stark. Gitarrensoli, ein fetter Schlagzeug-Sound, satte Basslines – das alles ergibt eine Performance, die unverkennbar Rock ist.
Natürlich gibt es da Songs wie Happier oder eben der besagte Schlussmach-Song Drivers License, bei denen Kritiker einwenden: „Das ist doch kein Rock!“ Aber ehrlich – welcher Rockmusiker hat denn keine Balladen? Metallica mit “Nothing else matters”, Guns N’ Roses haben “November Rain” und sogar Black Sabbath geen mit “It’s Alright” zu einer gefühlvollen Melodie ihre Gefühle preis. Selbst wenn man zugibt, dass sie eher Pop als Rock macht – sie erfüllt trotzdem die moderne Definition eines Rockstars: ein Multi-Talent. Rodrigo ist Sängerin, Performerin, Songwriterin und Musikerin zugleich. Sie hat ihren eigenen Sound – und liefert zuverlässig ab. Das allein qualifiziert sie als Rockstar.
Unbestritten: Rockmusik verbinde auch ich zunächst mit seiner Blütezeit. Den 70er Jahren. Das ist die Zeit, in der der Rock’n’Roll aus den 50ern weiterentwickelt wurde und zu dem unverkennbaren Sound geworden ist. Dabei hat die Dekade große Rockstars hervorgebracht. Doch da hörte das Genre nicht einfach auf. Seit langem gibt es in der Musik-Szene die Frage wer denn nun der große “Gen Z Rockstar ist”. Leute wie mein Kollege beim Radio würden behaupten, dass es ihn oder sie gar nicht gibt. Der britische Künstler “Yongblud” zum Beispiel, wird aber nicht zu Unrecht mit der Musik-Legende Ozzy Osbourne himself verglichen und als Rockstar einer neuen Generation bezeichnet. Er mischt die Szene mit einer Mischung aus Punk, Emo, Rock aber auch Pop-Elementen auf. Er zeigt die Multidimensionalität die junge Rock-Künstler mitbringen. Warum sollte sich also Olivia Rodrigo auf nur ein Genre reduzieren?
Hinzu kommt ihre Haltung zur Musikgeschichte. Im Rock war es schon immer wichtig, die Einflüsse früherer Künstler zu würdigen. Rodrigo tut genau das: Sie gibt Songwriting-Credits an Musiker, die sie inspiriert haben – und eröffnet so ihren jungen Fans den Zugang zur Rockmusik. Und schließlich: Mit ihr treten große Künstler wie Robert Smith und David Byrne auf. Und die würden sich nicht mit ihr die Bühne teilen, wenn sie nicht das gewisse Etwas hätte. Sie hält ihre musikalischen Vorbilder in allen Ehren – und diese erkennen in ihr eine würdige Künstlerin. Von daher können wir es schon den großen Rockstars überlassen, wer sich zum Erbe des Rock’n’Rolls zählen darf und wer nicht.
Solange es Newcomer in der Szene gibt und diese zusätzlich weiblich sind, wird es die Debatte rund um Rockstars geben. Aber ich sage es nochmal, auch für die, die es nicht hören wollen: Olivia Rodrigo ist ein Rockstar.
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