Alles hat ein Ende, auch die Soja-Wurst hat eins.

Veröffentlicht am 9. Oktober 2025 um 16:59

Brüssel will der Veggie-Wurst den Namen nehmen – aus „Verbraucherschutz“. Doch was steckt wirklich dahinter? Und wieso können wir nicht endlich die alten Argumente gegen Vegetarier hinter uns lassen? Ein Kommentar.

Als würde die Produktivität des EU-Parlaments nicht sowieso schon ständig in Frage gestellt werden, haben die Abgeordneten in Brüssel diese Woche für ein Verbot von pflanzlichen Fleischbezeichnungen gestimmt. Konkret sollen Begriffe wie Veggie-Wurst“ oder „Veggie-Schnitzel“ künftig ihren Namen ändern müssen. Die französische Abgeordnete Céline Imart aus der konservativen EVP-Fraktion hatte den Antrag kurzfristig eingereicht. Ein bisschen klingt das für mich, als hätte die Dame vielleicht ihre Präsentation zu einheitlichen europäischen Brotgrößen zuhause vergessen und musste schnell mit einem Ausweichthema ablenken. Aber eigentlich hat Frau Imart, gemeinsam mit der gesamten EVP, hier nur den Verbraucherschutz im Sinn. Zumindest wenn man der Begründung Glauben schenken darf. Verbraucher würden durch Begriffe wie „Tofu-Burger“ getäuscht, weil die Produkte nicht die gleichen Nährwerte wie tierisches Fleisch enthielten. Es gehe um Transparenz und die Anerkennung der Arbeit von Landwirten. Alles schön und gut. Nur kaufe laut der Organisation Foodwatch niemand aus Versehen einen Burger aus Tofu, der eigentlich lieber den Rindsburger wollte. So dumm scheint der Supermark-Gänger dann doch nicht zu sein. Kritisiert wird das geplante Verbot von Verbraucherschützern aber auch von Firmen wir Aldi, Lidl oder dem Marktführer für Veggie-Ersatzprodukte “Rügenwalder Mühle”.  

 Doch nicht nur die Franzosen zittern vor dem Soja- Entrecôte, auch in Deutschland steht man hinter dem Verbot. CDU und CSU unterstützen das im Parlament beschlossene  Verbotsgesetz. Laut Bundeskanzler Friedrich Merz sei “eine Wurst eine Wurst. Wurst ist nicht vegan.” Weil eben der von der Natur so erwünschte Vorgang, bei dem zerstückelte Fleisch-Überreste in einen Darm gepresst werden, nicht von Pflanzen ersetzt werden kann. Dabei ist Deutschland, laut dem Handelsblatt, der größte Markt für pflanzliche Alternativprodukte in Europa. 2024 wurden hierzulande rund 121.600 Tonnen Fleischersatz hergestellt – doppelt so viel wie 2019. Und die Zahlen steigen weiterhin. Im Grunde müsste sich Herr Merz hier zumindest eine große Niederlage eingestehen: Vegetarische und vegane Ersatzprodukte sind ein riesiger Markt. Vor allem wenn im Zusammenhang mit Deutschland auch immer wieder die Begriffe “stagnierter Markt” und “die Chinesen haben uns schon wieder überholt” fallen. Genau hier liegen die Chancen auf ein “Veggie - Made in Germany” Wirtschaftsboom, statt einer Debatte über den Schutz der Fleischindustrie, ehm entschuldigung, des Verbrauchers. Aber genau dort ist nämlich der Knackwurst-Punkt: Schützen möchte man eigentlich die angeschlagene Tierprodukte-Industrie. Der Fleischkonsum sinkt seit Jahren in Deutschland, auch weil gesunde Ernährung immer populärer wird. Wie groß die Angst der Fleisch- und Milchproduzenten ist, hat bereits das 2013 beschlossene EU-weite Verbot für pflanzliche Milch gezeigt. Seitdem darf beispielsweise eine Hafer- oder Sojamilch unter keinen Umständen so tun, als sei sie Milch. Gekauft wird sie trotzdem. (Auch wenn ich nicht verstehe, wie man Sojamilch genießen kann, was stimmt nicht mit euch?).  

Einigen europäischen Ländern geht der Gesetzesentwurf noch nicht weit genug. Laut Italien oder Ungarn sollen im Zusammenhang mit dem Verbot 29 Begriffe untersagt werden. Rind“, „Huhn“, „Speck“, „Brust“, „Lende“, „Schulter“ und „Kotelett“. Auch beschreibende Formulierungen wie “pflanzliches Filet Huhn-Art“ oder „pflanzlicher Bacon (Speck)“ wären demnach raus. Dank der grenzenlosen Kreativität gibt es schon einige Vorschläge, wie die Ersatzprodukte in Zukunft stattdessen heißen könnten. Vom Seitan-Bratling, über den Tofu-Lappen bis hin zum Soja-Schlauch war alles dabei. Mit solchen Begriffen kriegt man mich vielleicht doch wieder zum Fleisch. 

Wer es bis hier hin noch nicht rauslesen konnte: Ich bin Vegetarierin. Seit ca. 10 Jahren greife ich zum Tofu-Burger, bald vielleicht dann eben zum Tofu-Bratling. Wie das Produkt im Endeffekt heißt, ist mir eigentlich egal nur möchte ich eben wissen, was mich nach dem Kauf geschmacklich erwartet. Wenn ich eine “Veggie-Wurst” kaufe, schmeckt diese dann halt nach Bratwurst – nur ohne Tierleid. Und das ist auch der Grund, warum ein Namensverbot beim Verbraucher, für die genau die Verwirrung sorgen wird, vor der das EU-Parlament ihn zu schützen glaubt. Vegetarier kaufen sich nicht plötzlich wieder Fleisch, weil die Namen in der Ersatzprodukte-Abteilung anders sind. Für Neukunden wird der Kauf aber einfach schwieriger, weil die Produkte keine richtige Geschmacks-Orientierung mehr bieten.  

Im Grunde geht es hier um eine Sache: Angst. Zwar hat sich die Akzeptanz von Vegetariern oder Veganern zumindest in meinem Umfeld in den letzten Jahren stark verbessert. Aber auch damals konnte mein 15-Jähriges Ich nur wenig verstehen, warum meine eine Soja-Wurst auf dem Grill jetzt die ganze Familienfeier ruiniert und die Erwachsenen so in Aufruhr gebracht hat. Die Angst vor Veränderung, nach dem Motto: “Fleisch haben wir schon immer gegessen, was ist das, nimm deinen Soja-Schlauch von meinem Grill.” Oder doch die zum Beispiel von Alice Weidel so poetisch geäußerte Verlustangst, wobei ihr doch eigentlich niemand ihr Schnitzel wegnehmen will. Zusätzlich muss dazu gesagt werden, wer hier den Herstellern von Ersatzprodukten die Verdrängung von Fleisch auf dem Markt vorwirft, liegt auch nicht ganz richtig. “Veggie”-Produkte machen nur 4% des gesamten Anteils von Fleischprodukten im Sortiment in Deutschland aus. Warum fürchtet sich die Fleischindustrie also so? Das muss aus einer ähnlichen psychologischen Ecke kommen, wie die menschliche Angst vor kleinen Spinnen. Was es auch ist, durch ein Verbot von pflanzlichen Fleischbezeichnungen lässt sich weder ein nicht vorhandenes Problem lösen noch eine unbegründete Angst besiegen.  

 Noch tritt das Gesetz nicht zwangsweise in Kraft. Das geplante Verbot muss noch von den 27 EU-Mitgliedstaaten im Rat angenommen werden. Bis dahin könnten auch noch einige Abweichungen und Anpassungen vorgenommen werden, die das Verbot etwas auflockern. Doch also viel Wirbel um nichts? Keine Seltenheit in einem weiteren, wie der Spiegel ihn nennt “Kulturkampf”. Vielleicht hat die Soja-Wurst also doch noch kein Ende. Ziemlich wahrscheinlich ist das grade mal ihr Anfang.